Juli 13, 2021

Postliberal – Der „Great Reset“, aber von rechts? (Rezension)

Eine Rezension von Jan Richard Behr

Im letzten Monat erreichte ein neu erschienenes Buch aus dem Antaios-Verlag weite Aufmerksamkeit in unserer patriotischen Szene. Die Rede ist vom Kaplaken-Band Nr. 74 mit dem Titel „Postliberal“, verfasst von den beiden Autoren Erik Ahrens und Bruno Wolters. Der Untertitel „Ein Entwurf“ verweist auf ein zentrales Merkmal des Buches, welches ich in meiner Rezension vorstellen möchte: Die beiden Autoren entwickeln im Buch eine neue politische Ideologie im guten Sinne, nämlich verstanden als Weltanschauung, für das beginnende 21. Jahrhundert.
Das Buch ist in drei Kapitel gegliedert, die unterschiedliche Herangehensweisen an die Ideologiefindung aufzeigen und jeweils für sich stehen können. Nach der kurzen Einleitung, welche die Intention des Werkes behandelt, schildern die Autoren im ersten Kapitel ihre Grundüberzeugungen und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen, aus denen ihr postliberales Gedankengebäude erwächst. Zusammengefasst lautet die Prämisse der Autoren, dass die liberale Epoche ihrem Ende zugehe und sich nun der Raum für eine grundlegende Neujustierung der Gesellschaft biete. Dies zeige sich an den Verwerfungen der letzten Jahre: Die Euro-, Migrations- und Corona-Krisen. Für die Zeit nach dem Liberalismus, die postliberale Epoche, legen die Autoren dar, wie eine gute Ordnung auszusehen habe: Zunächst einmal werden Ordnung und Herrschaft prinzipiell bejaht, womit Bezug genommen wird auf klassisches rechtes Denken, beispielsweise von Hobbes. Gleichzeitig jedoch wird von den Autoren auch immer dialektisch im Sinne Hegels gedacht. Gegensätze (These und Antithese) gehören zusammen und können überwunden werden (Synthese), so beispielsweise Arbeiter und Kapital, sodass die klassenkämpferischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts einfach hinter sich gelassen werden können. Inhaltlich bekennen sich die Autoren zum Nationalstaat, zu Familie, Religion und Gemeinschaft.

Nach dieser Skizzierung erfolgt ein harter Bruch, denn im zweiten Kapitel wählen die Autoren einen fundamental anderen Ansatz zur Darlegung spezifischer Punkte ihrer Ideologie. Sie erläutern anhand einer kritischen Darstellung der Grundpositionen von Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“, dass auch jene Denker für rechte Zwecke nutzbar gemacht werden können, die weithin als Feinde der Rechten angesehen worden sind. Inhaltlich erläutern sie die Geschichte der europäischen Zivilisation seit der Aufklärung, bei welcher sie durchaus affirmativ auf Adornos Analysen zurückgreifen. Gleichzeitig jedoch heben sie hervor, an welchen Punkten sich ihr Denken von dem Adornos unterscheidet. Es ist wie so oft das Menschenbild, das den Unterschied zwischen den politischen Richtungen vorgibt. Wo bei linken Denkern ein utopisches Bild vom „guten Menschen“ vorherrscht, erkennen Rechte, dass der Mensch ein Mängelwesen ist und auch „schlechte“ Seiten besitzt. Daraus resultieren dann jeweils die verschiedenen Forderungen. Während Linke sich eine herrschaftslose Gesellschaft unter Gleichen erträumen, sehen Rechte, dass Ordnung, Herrschaft und Macht immer existieren und auch benötigt werden. Rechte stellen stattdessen die Frage, wie diese gut ausgestaltet werden können. Diese Erkenntnis bildet die Basis der Rechtfertigung der Autoren für einen Postliberalismus, nachdem der Liberalismus zu seinem Ende gekommen sei.
Wiederum eine andere Herangehensweise wählen die Autoren im dritten Kapitel. Hier bieten sie einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Kapitalismus, der wertneutral gehalten ist. Anschließend daran stellen die Autoren dar, inwiefern das jetzige kapitalistische System mit den normativen Elementen einer rechten Weltanschauung in Konflikt gerät. Auch hier sind das liberale Menschenbild und die daraus abgeleiteten kapitalistischen Prinzipien zentral. Schlussendlich wagen die Autoren einen Ausblick auf die Entwicklung der Welt anhand der Betrachtung der derzeitigen Krisen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Transformation vom Liberalismus zum Globalismus als Endpunkt des Kapitalismus anzusehen ist. Für die Zeit danach sei eine Rückkehr zum Nationalstaat, ausgestaltet nach postliberalen Prinzipien, anzustreben.

Meiner Ansicht nach haben die Autoren sich etwas sehr Herausforderndes vorgenommen: Den Aufbau einer gleichzeitig geschichtlichen wie politischen Erklärung für die Phänomene des frühen 21. Jahrhunderts. Dabei haben sie ihren Fokus auf die ökonomischen Aspekte gelegt. Hier erkennt man die Verwurzelung der Autoren in einer durchaus an Marx angelehnten Denktradition. Dies ist prinzipiell nicht falsch, denn jede Perspektive kann bestimmte Bereiche der Wirklichkeit erhellen, während andere im Schatten bleiben. Es gelingt den Autoren nämlich, nicht wie viele andere Publizisten die wirtschaftliche Entwicklung absolut zu setzen, sondern sie immer eingebettet in der Entwicklung der Menschen darzulegen. Problematisch wird es allerdings dennoch, wenn sie sich den Analysen Horkheimers bzw. Pollocks anschließen und die drei großen Ideologien des 20. Jahrhunderts, Liberalismus, Faschismus und Kommunismus, einfach nur als Systemzwänge der aufgeklärten Technokratien betrachten. Dies vernachlässigt meiner Ansicht nach, dass die Entstehung dieser Ideologien auf verschiedenen Faktoren beruht. Eine kritischere Betrachtung der „Dialektik der Aufklärung“ an diesem Punkt wäre wünschenswert.
Aus dieser auf die Ökonomie fixierten Perspektive und der linear-teleologischen Geschichtsphilosophie von Marx und Engels, das bedeutet auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet (bei Marx beispielsweise die kommunistische Gesellschaft), resultiert auch der für mich größte Kritikpunkt in Bezug auf die Prognose. Es wird vom unweigerlichen Umbruch des liberalkapitalistischen Systems ausgegangen, aufgrund dessen, dass sich die Krisen zuspitzten. Dem stimme ich nicht zu, denn die größte Stärke des Kapitalismus ist seine Adaptionsfähigkeit an wechselnde politische Bedingungen. Sichtbar ist dies am Beispiel Chinas. Die Entwicklung des (Neo-)Liberalismus hin zum Globalismus bedeutet auch mitnichten, dass ein baldiger Zusammenbruch bevorsteht. Zwar stimme ich den Autoren in der Hinsicht zu, dass der Liberalismus auf Voraussetzungen beruht, die er selbst nicht schaffen kann (ein Hinweis der Autoren auf Böckenförde wäre an dieser Stelle angebracht gewesen). Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Sozialkapital innerhalb der nächsten Jahre aufgebraucht ist. Erkennbar ist dies exemplarisch in Deutschland am Weiterlaufen des Systems, sei es die Wahl der Altparteien durch die Bundesbürger, oder dem täglichen Gang zur Arbeit, auch wenn dort nun eine Regenbogenflagge hängt.
Daraus schlussfolgernd könnte man bösartig unterstellen, die von den Autoren aufgestellte Weltanschauung sei eine bloße Fantasterei, die wenig Chance auf Umsetzung in westlichen Staaten innerhalb der nächsten Jahre besitzt. Dies dürfte jedoch nicht der Grund der Autoren für das Verfassen des Buchs gewesen sein. Stattdessen schaffen sie es, auf wenigen Seiten zusammenzufassen, wo die Neue Rechte in Deutschland im Jahr 2021 zu verorten ist. Carlo Clemens, der Bundesvorsitzende der Jungen Alternative, hat dies in drei Punkten zusammengefasst: „pro Volk, pro Nationalstaat, anti-globalistisch“. Die Autoren füllen dies mit Leben. Die Neue Rechte habe den Auftrag, die Gräben der Vergangenheit zu überwinden und für all diejenigen ein Angebot zu machen, die die Irrungen der liberalen Jahrzehnte ablehnen, die vom Neoliberalismus bedroht sind, die das normale Volk darstellen und ihm verbunden sind. Damit skizzieren sie genau jenen Raum, welchen die AfD als wahre Volks-Partei ansprechen sollte und auf welche Art ihr dies gelingen kann: Nicht nur monothematisch die Migrationsfrage klären, sondern auch die soziale Frage. Nicht an den Symptomen herumdoktern, sondern einen Gegen-Entwurf zur liberalen Un-Ordnung aufbauen. Ein Bekenntnis zu Ordnung, Sittlichkeit und guter Herrschaft im Nationalstaat geben.
Martin Grambauer kritisiert in seinem Leserbrief die von ihm wahrgenommene grundsätzliche Ablehnung des Kapitalismus bei den Autoren. Ohne ihm in seiner Kritik zuzustimmen, meines Erachtens ist eine rechte Kritik am Kapitalismus richtig und wichtig, möchte ich trotzdem einen Punkt erwähnen, an dem ich konträr zu den Autoren gehe, nämlich bei ihrer Kritik an den kapitalistischen Prinzipien. Sie sehen Ungleichheit als Gefahr für die Gesellschaft, die abzulehnen ist. Hingegen bin ich der Auffassung, dass Ungleichheit aufgrund der natürlichen Unterschiede der Menschen durchaus gerechtfertigt sein kann.
Exemplarisch sollte jemand, der arbeitet, immer mehr Geld zur Verfügung haben, als jemand, der nicht arbeitet und nur auf der faulen Haut liegt. Dieses Bejahen des Leistungsprinzips ist ein essentieller rechter Wert für mich, auch wenn er nicht exklusiv für Rechte einen Wert hat, sondern auch für gewisse Spielarten des Liberalismus. Anders herum gesagt: Solidarität funktioniert nur wechselseitig und gerade eine einseitige Solidarität führt langfristig dazu, dass sie irgendwann auch wieder versiegt.

Die Autoren, welche auch das Konflikt-Magazin betreiben, schaffen es also in diesem Buch, einen Konsens in Form einer politischen Verortung der rechten Kräfte in Deutschland aufzuzeigen. Konflikt lösen sie bei mir aus, wenn sie auf den baldigen Umbruch der herrschenden Ordnung setzen und ihren Fokus etwas zu sehr auf die ökonomischen Aspekte des Globalismus setzen. Eine Betrachtung beispielsweise der geopolitischen Zusammenhänge, in welche Deutschland eingebettet ist, kann die Prognosefähigkeit erhöhen: Denn vielleicht wird ein postliberales Jahrhundert in Deutschland auch ein chinesisches? Oder der Liberalkapitalismus in Dollargestalt wehrt sich doch mit Erfolg? Oder es kommt ganz anders? Die Selbstvergewisserung, wie wir uns als Partei zu positionieren haben, um egal, welchen Weg die Welt einschlägt, reagieren zu können und für unser Volk das Beste zu erreichen, wenn wir regieren sollten, ist den Autoren dennoch gut gelungen.
(96 Seiten, Verlag Antaios, Schnellroda 2021)

Der Rezensent bedankt sich an dieser Stelle bei den Autoren für die Zusendung eines Exemplars ihres Werkes.

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