November 18, 2021

Sachsen als Norm

Ein Beitrag von Fabian Küble

Nach der zurückliegenden Bundestagswahl war es mal wieder so weit. Die vereinigte Hauptstadtpresse schimpfte über den Osten und speziell Sachsen und kübelte ihren ganzen Hass und ihre Verachtung über diesen aus. Was war geschehen? Wieder einmal hat die AfD in Mitteldeutschland ein überproportional starkes Ergebnis errungen, wurde in Sachsen sogar mit weitem Abstand stärkste Partei und konnte dort einen Großteil der Direktmandate gewinnen. Die ach so hochgejubelten Grünen konnten hier hingegen noch weniger reüssieren als anderswo in der Republik und haben es über den Status einer Kleinpartei nicht hinausgeschafft. Die CDU ist noch stärker abgestürzt und hat endgültig den Status einer Volkspartei verloren. Diesen hat sich, zumindest in Sachsen und Thüringen, nun die AfD erkämpft. Nur verständlich das die linke Mainstreamjournaille voller Empörung über „den braunen Schandfleck“, die „rechtsextremen, unbelehrbaren, ewig gestrigen und abgehängten“ Ostdeutschen hergezogen ist.

In der öffentlichen Berichterstattung, den Statements der Altparteien und allgemein dem bundesrepublikanischen Establishment, zeichnete sich wieder ein deutliches Bild ab: hier der aufgeklärte, vernünftige, anständige Westen, und dort die rückständigen, abgehängten und notorisch rechtsradikalen Ostdeutschen (und vor allem Sachsen). Hier das Normale, dort das Abartige. Als ob es „normal“ wäre immer und immer wieder Dasselbe zu wählen, vollkommen egal was die verantwortlichen Altparteien alles machen und anrichten. Als wäre die logische Konsequenz, wenn man mit der CDU unzufrieden ist, die SPD zu wählen – und das auch noch nach 12 Jahren Groko – oder die FDP, oder die Grünen. Als ob es auch nur den geringsten Unterschied macht, ob nun eine sogenannte Jamaika-, Ampel-, Kenia-, oder Große-Koalition regiert. Als würde es auf Länderebene, wo es all diese Koalitionen gibt, irgendeinen Unterschied machen. Als wäre es normal, die schon seit Ewigkeiten herrschenden und zum allgemeinen Schaden regierenden, immer gleichen Altparteien zu wählen. Wobei es völlig bedeutungslos ist, welche davon im Verhältnis zur jeweils andern nun etwas stärker oder schwächer abschneidet. Dies ist Demokratie-Simulation, Spiegelfechterei um unerhebliche Unterschiede, ein großes Theater um vorgebliche Unterschiede, wo in Wahrheit keine sind. Scheingefechte, um den Schein zu wahren, obwohl man sich in allem Wesentlichen einig ist. Und das Volk fällt drauf rein und applaudiert noch artig zu der Maskerade. Staatsfernsehen und Mainstreammedien sei Dank.

Nach all dem was in den letzten Jahren passiert ist und was alle Altparteien gemeinsam angerichtet und zu verantworten haben: von der Eurorettung, über den rechtswidrigen Import Millionen von illegaler Einwanderer – zumeist in die Sozialsysteme, inklusive rapide steigender Kriminalitätszahlen unter eben diesen Gruppen – bis zur verkorksten Energiewende mit den international höchsten Energiepreisen, einer stark steigenden Inflation, einer völlig vermurksten Digitalisierung, und einer immer undemokratischer und freiheitsfeindlicheren Gesellschaft, in welcher wesentliche Grundrechte abgeschafft wurden, viele sich nicht mehr trauen offen ihre Meinung zu sagen und ein Klima der Angst und Unfreiheit über der öffentlichen Sphäre hängt. Als wäre es angesichts dessen das Normalste der Welt, einfach wieder exakt jene Parteien zu wählen, die einzig und allein eben dafür verantwortlich sind. Wer hingegen Alternativen hierzu wählt, und zwar denklogisch, weltanschaulich-programmatisch die einzig relevante und realistische Alternative hierzu, der soll nach offizieller Logik dieser Republik der inakzeptable Abweichler sein, dem mit Unverständnis begegnet wird, und der sich damit ins Aus stellt.

Westdeutschland als internationaler Sonderfall

In der innerdeutschen Diskussion wird meist Westdeutschland und die dort vorherrschende politische Kultur als der „Normalfall“, als den allgemeingültigen „Standard“ dargestellt, der als Messlatte und moralischer Fixpunkt gilt und an dem sich gemeinhin alle zu orientieren haben. Ostdeutschland ist demgegenüber einfach „noch nicht so weit“, ist quasi noch etwas „rückständig“, wird sich aber, wenn alles „normal“ verläuft, dem Westen „angleichen“, mindestens aber immer stärker „annähern“. Tatsächlich ist es so, dass Westdeutschland, ergo die alte BRD, allein schon auf Grund der zahlenmäßigen Überlegenheit für sich beanspruchen kann, innerhalb der Bundesrepublik „die Norm“, im Sinne der klaren Mehrheit zu sein, an welcher der Rest (der Osten) sich als Standard zu orientieren hat. Die Norm ist bekanntlich immer die Mehrheit, und die Minderheit ist die Abweichung von dieser Norm. Folglich nehmen die sogenannten neuen Bundesländer eine Minderheitsposition ein, indem ihre politische Konstitution die Abweichung von der bundesrepublikanischen Norm darstellt.

Dies gilt jedoch nur so lange wie man ausschließlich auf Deutschland blickt. Sobald man jedoch den Blick über den nationalen Tellerrand hinausschweifen lässt, stellt man fest, dass nicht Ostdeutschland die Abweichung von der Norm ist, sondern ganz im Gegenteil, Westdeutschland den außergewöhnlichen Sonderfall darstellt. Jene politische Verfasstheit wie sie heute noch in Ostdeutschland vorzufinden ist – mitsamt der vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse – ist international betrachtet absolut nichts außergewöhnliches, sondern durchschnittliches Mittelmaß – eben ganz normal. Die politische Kultur und parteipolitische Verfasstheit Westdeutschlands weicht hingegen eklatant von den allermeisten übrigen Nationen ab.

Vergleich mit anderen europäischen Nationen anhand der politischen Rechten

Zur Verdeutlichung nur einige Beispiele: In unserem Nachbarland der Schweiz ist seit vielen Jahren die nationalkonservative SVP mit konstanten Werten von 25 bis 30 Prozent stärkste politische Partei. In Österreich ist die rechte FPÖ seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des politischen Systems. 2017 wurde die FPÖ sogar Teil der österreichischen Bundesregierung, nachdem sie bei der Parlamentswahl zuvor fast 26% errungen hatte. Bereits in den Jahren zuvor wurde sie in mehreren Landesparlamenten mit über 30% stärkste Kraft und Teil von lokalen Koalitionsregierungen. In Bundesumfragen erreichte sie zeitweise über 35% und dem damaligen Vorsitzenden HC Strache wurden echte Chancen auf die österreichische Kanzlerschaft zugesprochen. Verhindert wurde dies nur durch Sebastian Kurz, welcher die zuvor auf unter 20% abgestürzte christdemokratische ÖVP übernahm und durch einen harten Rechtsruck derselben wieder knapp 10 Prozentpunkte der Wähler von der FPÖ abwerben konnte. Noch wenige Monate zuvor unterlag bei der Präsidentschaftswahl der Kandidat der FPÖ, Hofer, nur hauchdünn mit wenigen tausend Stimmen und einem Ergebnis von über 49%.

In Frankreich unterlag ebenfalls bei der Präsidentschaftswahl 2017 Marine Le Pen, die Kandidatin des rechten Rassemblement National, Macron zwar deutlich, erreichte aber nichtsdestotrotz knapp ein Drittel der Stimmen. In aktuellen Umfragen sprechen sich bis zu 45% der Franzosen für sie, oder den mit ihr konkurrierenden, noch rechteren Kandidaten Zemmour aus. In Italien wurde 2018 Mateo Salvini von der rechten Lega Teil der Regierung, gewann in den folgenden Jahren den Großteil der italienischen Regionalwahlen und kam in Umfragen auf bis zu 40%. Heute liegt die Lega in Umfragen zwar wieder unter 30%, dafür aber kommt die Partei Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni auf Ergebnisse von bis zu 20 Prozent. Diese ist politisch sogar noch rechts von der Lega und Salvini zu verorten. In Schweden kommen die Schwedendemokraten und in Finnland die Wahren Finnen konstant auf über 20% und in den Niederlanden gibt es gleich zwei starke Rechtsparteien, die zusammen mehr als ein Viertel der Stimmen erreichen. Die Engländer haben den Brexit vollzogen und sich einer rigiden Einwanderungspolitik verschrieben. Als die Torys unter Premierministerin Theresa May den Brexit verwässern und faule Kompromisse mit der EU eingehen wollten, schmierten diese auf unter 10% ab und die rechte Brexit-Partei von Nigel Farage stieg auf beinahe 40%. Über die USA, Trump und die Republikaner, unter denen es eine Menge rechter Hardliner gibt, gegenüber welchen selbst die Rechtesten in der AfD wie liberale Weicheier wirken, muss an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Genauso wenig wie auf all die osteuropäischen Staaten, allen voran Polen und Ungarn wo rechte Parteien teilweise mit absoluter, teilweise sogar mit zweidrittel Mehrheit regieren.

Umgekehrte Normalität in Deutschland

Allein anhand dieser Beispiele sollte deutlich geworden sein, dass es in den meisten Ländern starke rechte Parteien gibt, die oftmals sogar noch sehr viel stärker sind als die AfD in Sachsen mit ihren knapp. 25% – immerhin ihrem stärksten Bundesland in Deutschland – und viele dieser Parteien sind sogar noch deutlich rechter als die AfD, auch im Osten. Eine solch erbärmlich schwache Rechte wie in Westdeutschland, wo die AfD konstant auf Werte von gerade einmal 5 bis 10 Prozent kommt, gibt es hingegen kaum ein zweites Mal. Und das obwohl (oder weil?!) die AfD-Verbände im Westen so gemäßigt und angepasst sind wie kaum eine andere Rechtspartei in Europa. Gleichzeitig wuchert in Westdeutschland eine Partei wie die Grünen mit ca. 20%, in manchen Regionen sogar deutlich über 30%. Eine Partei, die strikt anti-deutsch, anti-national, anti-konservativ ist, die quasi die Antithese zur AfD ist und gegen alles steht was einem heimatverbundenen Menschen, der Deutschland, unsere Kultur und Traditionen liebt wichtig ist. Eine Partei die Ideen vertritt, die jeder normale Mensch ansonsten nur im Irrenhaus verorten würde. Eine solche Partei fristet in jedem anderen Land ein sektiererisches Nischendasein, in Westdeutschland aber feiert sie fröhlich Urstände. Für Westdeutschland und die BRD ist tragischerweise exakt diese Absurdität „normal“, wohingegen die alles andere als spektakulären 25% AfD, als unerträgliche und maximal zu bekämpfende Katastrophe wahrgenommen wird. Dies macht überdeutlich, dass mitnichten Ostdeutschland der politisch absonderliche Ausnahmefall ist, sondern Westdeutschland eine abnorme, und äußerst unselige politische Sondersituation einnimmt. Man könnte also sagen, dass in der Bundesrepublik, ganz im Sinne George Orwells, so etwas wie „umgekehrte Normalität“ herrscht.

Die Bedeutung des Bürgertums

Die Ursache hierfür liegt ganz wesentlich in der nach 1945 herausgebildeten, spezifischen westdeutschen politischen Kultur und dem dortigen Bürgertum mit seiner verhängnisvollen destruktiv-masochistischen, geistig-politischen Verfasstheit. In Ostdeutschland hingegen hat, auch durch die jahrzehntelange Unterdrückung durch das SED-Regime und die dadurch erzwungene Isolierung, das Bürgertum als gesundes, unverdorbenes, im spezifischen nationalen Sinne traditionsreiches Bürgertum überdauert. Dort blieb das klassische deutsche Bürgertum mit seinen tiefverwurzelten Denk- und Traditionslinien in stärkerem Maße erhalten und souverän. Nicht nur das man sich einst gegen die ideologischen Indoktrinationsversuche des SED-Staates erfolgreich verteidigt hat, die damals so erlangte Immunisierung schützt dieses ostdeutsche Bürgertum auch heute noch gegen den neuen ideologischen Irrsinn, des heute herrschenden Establishments. Davon profitiert der Osten heute. Deshalb herrscht im deutschen Osten noch größere gesellschaftliche und politische Normalität. Deshalb sind im Osten die Disruptions- und Degenerationserscheinungen noch nicht so weit fortgeschritten wie im Westen und die Abwehrkräfte (und Gegenwehr) sind hier noch deutlich ausgeprägter.

Auf Grund der außerordentlichen Bedeutung welche das (westdeutsche) Bürgertum für die politische Verfasstheit Deutschlands hat, aber womöglich auch für die AfD als politischer Akteur hat, werden wir uns in einigen unserer nächsten Texte auch speziell mit diesem Bürgertum und dem Bürgerlichen in der deutschen Politik auseinandersetzen.