Eine Analyse von Jan Richard Behr und Fabian Küble
In den letzten Tagen schlug ein Tweet des gerade frisch gewählten Co-Chefs der JA, Marvin Neumann, hohe Wellen. Sein Hinterfragen des liberalkapitalistischen Universalismus des Westens stieß auf heftige Reaktionen aus Teilen der JA und der Mutterpartei. Mit Äußerungen, die weitestgehend nicht über Ressentiments und Strohmänner hinausführten, wurde er massiv dafür angegangen, sich die Vor- und Nachteile des politischen Systems Chinas angeschaut zu haben. Daher wollen wir uns ergebnisoffen anschauen, was man vom chinesischen System möglichweise lernen kann, aber auch, wo das westliche System Vorteile aufweist.
Zunächst zu der fehlgeleiteten Kritik an Neumanns Aussage: Ihm oder der JA Totalitarismus nahezulegen, ist selbstverständlich grundfalsch. Es wurde keine Übernahme des chinesischen Systems gefordert, sondern ein kluges Lernen von der unbestritten erfolgreichen Geschichte Chinas, die diametral zum Niedergang des Westens mit seiner liberalistischen Grundausrichtung steht. Zudem geht es nicht primär um wirtschaftspolitische Nebenkriegsschauplätze, sondern um die zentrale Frage, wie wir uns als Alternative eine positive Vision einer deutschen Gesellschaft im 21. Jahrhundert vorstellen und anstreben wollen. Oder ob wir bloße Statthalter des alten Systems sein wollen, die wahlweise zurück in die 1980er-Jahre mit ihren einfachen Feindbildern vom roten Osten oder sogar ins Jahr 2005 wollen.
Ein wesentlicher Punkt des Erfolgs Chinas ist die Geopolitik. China hat es geschafft, die Neuordnung der Welt nach dem Ende der bipolaren Weltordnung durch den Zusammenbruch der Sowjetunion maßgeblich mitzubestimmen. Während Russland in den 1990er-Jahren in eine Rezession gelangte, Oligarchen das Land ausplünderten und nur die autokratische Zentralisierung durch das System Putin dem Einhalt gebieten konnte, überstand China diesen Umwälzungsprozess seines Nachbarn weitgehend unbeschadet, was nicht zuletzt an dem klugen politischen Handeln Deng Xiaopings im Vergleich zu Gorbatschow und Jelzin lag. Er zeigte, dass eine eingehegte, aber dennoch nicht staatskontrollierte Wirtschaft einer sowjetischen Planwirtschaft überlegen war und auch dem westlichen Modell Konkurrenz bieten konnte. Dennoch blieb er gesellschaftspolitisch autoritär-undemokratisch. Außenpolitisch suchte er Bündnisse mit westlichen Ländern, ohne sich wie beispielsweise die Bundesrepublik unter das geopolitische Joch der USA zu begeben. Dadurch sicherte er Einfluss und Souveränität, ohne imperialistisch aufzutreten. Dies ist ein Punkt, an dem wir Deutschen unsere zukünftige Bündnispolitik orientieren können.
Weiterhin ist auch die anschließende Entwicklung unter den folgenden Staatspräsidenten, insbesondere dem heutigen Präsidenten Xi Jinping, interessant. Die unter Deng bis Hu Jintao eingeführten Reformen wurden teilweise wieder zurückgeführt. Dies erfolgte jedoch mit System, bei dem sich die Führung im Politbüro unter anderem an deutschen Denkern wie Carl Schmitt orientierte. Zu nennen wäre hierbei das Sicherheitsgesetz für Hong Kong, welches durch die Nutzung der Schmitt’schen Souveränitätstheorie die Erlangung der politischen Kontrolle über die ehemalige britische Kronkolonie beabsichtigt. Ebenfalls wird mit diesem Gesetz das Primat der Politik wiederhergestellt. Von dieser Adaption an Schmitt können wir Deutschen uns ebenso Anleihen nehmen, wenn es beispielsweise um die immer weniger existierende Gewaltenteilung geht, die wir auch in Deutschland beobachten müssen. Zudem hat es Xi geschafft, eine Öffnung nach außen ohne die Implementierung der westlichen Menschenrechts-Doktrin zu erreichen. Dies bedeutet nicht, dass Deutschland diesen Weg gehen sollte. Dennoch ist eine Sezession von den bereits fortgeschrittenen Degenerationen in der westlichen Welt, genannt seien hier exemplarisch die Vergöttlichung eines schwarzen Kleinkriminellen oder die Auflösung der ehemals dualistischen Geschlechterordnung, nicht nur wünschenswert, sondern gerade überlebensnotwendig. Stattdessen ist die Bewahrung von Volk und Heimat ein erstrebenswertes Ziel.
Nichtsdestoweniger können auch wir Punkte identifizieren, bei denen wir einen anderen Weg als das chinesische System einschlagen wollen. Hier wäre zuallererst auf die Ein-Parteienherrschaft der kommunistischen Partei zu verweisen. Als Demokraten können wir diese Form monopolisierter Herrschaft nur ablehnen. Es ist zwischen dem westlichen Liberalismus und demokratischen Prinzipien zu unterscheiden. Für uns ist die Volkssouveränität die oberste Maxime. Daher ist eine totalitäre Diktatur wie in China für uns ausgeschlossen.
In diesem Zusammenhang ist auch auf den Zentralismus der Kommunistischen Partei zu verweisen. Zwar bietet dieser eine höhere Effizienz an, jedoch auf Kosten der Mitbestimmung der Untergliederungen. Diese gegenläufige Abhängigkeit in eine Richtung aufzulösen birgt die tatsächliche Gefahr des Totalitarismus auf der einen und die Handlungsunfähigkeit des Systems auf der anderen Seite. Daher ist bei uns in Deutschland weniger die jetzige Strukturordnung des Systems zu kritisieren, sondern die Füllung dieser mit Inhalten.
Der Zentralismus in Verbindung mit den verkrusteten Strukturen einer Ein-Parteiendiktatur ist darüber hinaus anfällig für Korruption. Tatsächlich hat China ein ausgemachtes Korruptionsproblem, bei welchem sich vor allem lokale Parteiführer immer wieder auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Die enge Verquickung zwischen Partei und Wirtschaft erleichtert ein solches Fehlverhalten ungemein.
Die oben ausgeführten Punkte einer zentralisierten, zur Korruption neigenden Diktatur, führen in ihrer Folge zwangsläufig zu staatlicher Willkür, welche sich nicht zuletzt darin äußert, dass immer wieder unbotmäßige Personen, Unternehmer und Milliardäre einfach so verschwinden.
Des Weiteren sollte ein simpler Wechsel des Hegemons nicht unser Ziel sein. Die neue multipolare Weltordnung ermöglicht gerade mehrere Handlungszentren, daher ist es nicht notwendig, vom großen Bruder Washington zum großen Bruder Peking – oder Moskau – zu wechseln. Dennoch bedingt die Entfernung vom dem einen die Annäherung an den anderen, vor der man keine Angst haben sollte.
Zu guter Letzt ist die von China implementierte Totalüberwachung und -kontrolle der Bürger kein Ziel für Deutschland. Hierbei wird Sicherheit erkauft, indem Freiheiten massiv eingeschränkt werden, was zu einer mangelhaften Responsivität des Systems führt. Wer bei der Äußerung von Kritik Angst um sein Leben und das seiner Familie haben muss, wird diese nicht äußern, was zu Akkumulierung von Problemen führt. Dies war mit ein Grund für die zunächst schlechte Reaktion in China auf das Coronavirus. In dem Kontext sollte man jedoch nicht vergessen, dass auch in Deutschland die Freiheitsrechte durch Gesetze eingeschränkt wurden und werden. Auch wenn die Strafen nicht so drakonisch wirken wie in China, sind die sozialen Konsequenzen beim Vertreten einer politisch inkorrekten Meinung die gleichen: Ausgrenzung, Ausschluss, Verächtlichmachung. Sichtbar wurde dies erst neulich bei einer harmlosen Aktion von Künstlern in Bezug auf die deutsche Corona-Politik. Das Sozialkreditsystem Chinas ist in dem Zusammenhang als totalitäre Zuspitzung jenes freiheitsfeindlichen Ungeistes anzusehen.
Abschließend lässt sich daher festhalten, dass wir von China vor allem die selbstbewusste Vertretung nationaler Interessen und eine damit einhergehende eigenständige, von den USA emanzipierte geopolitische Positionierung lernen können. Darüber hinaus die Durchsetzung des Primat des Politischen, welcher handlungsleitend für alle Entscheidungen, auch gegenüber der Wirtschaft ist. Nicht der Staat hat seine Interessen und Handlungen an den Interessen und Wünschen der Wirtschaft auszurichten, sondern die Wirtschaft hat sich den strategischen nationalen Interessen unterzuordnen und damit letztlich Staat und Volk zu dienen. Die zielstrebige Ausrichtung der Gesellschaft auf das nationale Vorwärtskommen und den Schutz derselben vor abstrusen, egoistisch-individualistischen Spleens und Spinnereien, wie wir sie im kultur- und gesellschaftsfeindlichen Liberalismus erleben müssen zeigt, dass es jenseits von Gender- und Diskriminierungsdebatten, Nationalmasochismus und Kulturrelativismus, erfolgreiche Alternativen gibt.
Klar ist aber auch, dass die Alternative niemals in Diktatur, Willkür und Unfreiheit liegen kann. Hier mahnt uns China vielmehr, wohin es führt, wenn wir den antidemokratischen und freiheitsfeindlichen Weg weitergehen, auf welchen uns die Altparteien in den vergangenen Jahrzehnten geführt haben.
Diese Thesen sollen als Denkanstöße für eine weitere Debatte innerhalb und außerhalb der Jungen Alternative dienen. Nur durch diesen Diskurs ist die Entwicklung einer positiven Zukunftsvision für Deutschland möglich.
Addendum: Grenzen des Systemvergleichs
Man muss sich vergegenwärtigen, dass jene Länder- und Systemvergleiche, wie wir sie oben durchgeführt haben, stets nur eingeschränkt funktionieren. Zweifelsohne ist China ein interessantes Beobachtungsobjekt, von dem man einiges lernen kann – im Positiven wie im Negativen. Allerdings sollte uns klar sein, dass die politische und gesellschaftliche Verfasstheit einer Nation ganz wesentlich von den kulturellen Eigenarten, dem Werte-, Sitten- und Normengerüst eines Volkes abhängt. Hierbei gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen dem ostasiatischen, konfuzianischen China, und dem europäisch, christlich-abendländisch geprägten Deutschland. Rückschlüsse sind auf Grund dieser unterschiedlichen Voraussetzungen daher stets nur bedingt möglich und die Pfadabhängigkeiten sind zu beachten.
Mittelfristig dürfte es sogar heißen: Von China lernen, heißt Siegen lernen! Das mag uns nicht gefallen, doch gerade mit Blick auf die chinesische Agenda – CHINA 2049 – ein recht realistisches Szenario. Für Deutschland könnten faire und enge Beziehungen zu China, in Zukunft ein mehr an Souveränität bedeuten. Ein aufgehen Deutschlands im „Superstaat EU“ ist jedenfalls die schlechtere Alternative. Die vorbehaltlose „Westbindung“ ist darüberhinaus ein Relikt aus dem kalten Krieg. Oder profan ausgedrückt: Im Osten geht die Sonne auf. Lasst uns doch mal eine Web-Session zu China machen!!
Es ist sehr schwierig für mich auf eure Analyse einzugehen. Die Entwicklung Chinas ist sehr interessant. Vom rückständigen Agrastaat zur Wirtschaftsmacht. Und das in 40 Jahren. Aber auf welche Kosten? Unterdrückung, Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Produktpiraterie usw. Wenn jemand eine Diktatur errichten möchte, ist das China der Vergangenheit ein gutes Vorbild. Aber das jetzige China möchte mehr Wohlstand und Freiheiten für ihre Bevölkerung. Ich glaube das es da noch eine positive Entwicklung geben wird. Sie werden aber eine neoliberale Entwicklung wie die westliche Welt sie seit den 80 er Jahren hat, nicht einschlagen. Auch China kann lernen. Von den Fehlern des Westen. Der Kapitalismus ist die optimale Gesellschaftsform. Leider lässt man den Kapitalismus nicht die nötigen Freiheiten. Der Staat mischt sich zu sehr ein. Zu viel Regelung und Vorschriften. In China sowieso und im Westen immer mehr. Meine Befürchtung ist das wir zu viel Staat bekommen. Die Grünen finden China toll. Warum wohl.?